Interview zum Netzwerken für die Polizeiarbeit der Zukunft
Zum Thema „Die Polizei von übermorgen“ fand am 15. und 16. November 2023 das 3. Netzwerktreffen der Innovationslabore der Polizeien der Länder und Österreichs in der Agentur für Innovation in der Cybersicherheit GmbH (Cyberagentur) statt. Im Mittelpunkt des diesjährigen Treffens standen sowohl das Netzwerken und der gegenseitige Austausch als auch innovative Methoden im Vordergrund stehen.
Über 40 Polizistinnen und Polizisten aus 14 Bundesländern und aus Österreich waren nach Halle (Saale) gekommen, um die neuesten Innovationen auf dem Gebiet der Polizeiarbeit der Zukunft zu präsentieren und sich über die Erfahrungen im Prozess der Entwicklung von Ideen auszutauschen. Um gemeinsame Ideen voranzutreiben, wurden von der Cyberagentur drei Formate für die Teilnehmenden organisiert. Dazu gehörten die Projektvorstellungen in einer Poster-Session, die Reflektion über Misserfolge und die daraus resultierenden Lerneffekte in der sogenannten Fuck-Up-Session sowie die Entwicklung kreativer Ideen zur Polizeiarbeit der Zukunft im „LEGO® SERIOUS PLAY®“-Workshop.
Initiator des ersten Netzwerktreffens war 2021 das InnoLab der Polizei Sachsen. Wir sprachen über die Grundidee und die Zukunft des Netzwerktreffens mit dem Präsidenten des Polizeiverwaltungsamtes der Polizei Sachsen, Dr. Jörg Michaelis, der extra nach Halle (Saale) gereist war, um die Berufskolleginnen und -kollegen zu begrüßen.
Frage: Warum ist vor zwei Jahren die Idee entstanden, eine Plattform für den Austausch der jeweiligen Innovationslabore der Polizeien zu initiieren?
Letztendlich aus der Praxiserfahrung, dass es im Bereich der IT der Polizei sehr viele parallele Entwicklungsvorhaben gibt, die offensichtlich nicht einmal voneinander Kenntnis haben. Ganz offensichtlich fehlte es da an Vernetzung im Vorhinein.
Grundsätzlich kann ja auch eine konkurrierende Entwicklung verschiedener Ansätze zu einem gleichen Problem sehr belebend sein. International sehen wir dies beispielsweise bei der Erforschung verschiedener Ansätze zur Erreichung eines wirtschaftlichen Kernfusionsreaktors.
Als Behördenleiter in der Polizei bin ich jedoch grundsätzlich in einer anderen Situation: Wir als Sicherheitsbehörden sind eben kein Forschungsinstitut. Vergessen sie bitte auch nicht: Wissenschaft darf auch Irrtümern erliegen; sie muss das Risiko des Scheiterns von vornherein in Kauf nehmen. Die Polizei hat hingegen in erster Linie Straftaten zu verfolgen sowie die Öffentliche Sicherheit und Ordnung sicherzustellen. Die Bürger unseres Landes verlangen zu Recht eine Polizei, die nicht mit den polizeilichen Schutzgütern experimentiert. Wir müssen mit unseren Ressourcen sehr zielgerichtet und sparsam umgehen, weil unsere Haushaltsmittel und damit insbesondere unser Personalbestand nicht für solche großen wissenschaftlichen Herausforderungen konzipiert sind.
Schon aus dem Grund der Ressourcenschonung will ich durch das Innovationslabor für Digitalisierung der Polizei Sachsen (InnoLab) eine frühzeitige Vernetzung der Innovationslabore erreichen. In den bisherigen offiziellen Gremienstrukturen der Sicherheitsbehörden ist ein so frühzeitiger Gedankenaustausch bisher noch gar nicht vorgesehen gewesen. Deswegen haben wir das erste bundesweite Treffen der Innovationslabore in Dresden ausgerichtet; dann folgte ein Treffen in Nordrhein-Westfalen.
Ich bin der Cyberagentur äußerst dankbar, dass sie nun diese Initiative mit ihren durchaus weitreichenderen Möglichkeiten verstetigen. Mir wäre wichtig, dass sie dabei eine themenbezogene Betrachtungsweise favorisieren und aktive Netzwerkarbeit durchführen. Wir werden auch zukünftig gerne ihr Partner sein.
Frage: Wo steht die Polizeiarbeit von übermorgen auf dem Zeitstrahl in Richtung Zukunft?
Ich hatte in meinem Grußwort anlässlich des diesjährigen Bundestreffens der Innovationslabore bei Ihnen in Halle (Saale) darauf hingewiesen: aktuell konsolidieren und priorisieren wir die gegenwärtigen Aufgaben, vor welcher die IT der Polizeien bundesweit stehen. Bereits dort gibt es noch eine ganze Menge an Hausaufgaben zu erledigen. Häufig sind auch Lösungen, die den gegenwärtigen Stand der Technik darstellen, noch nicht so weit ausgereift, dass wir sie in die tägliche Polizeiarbeit funktionssicher übernehmen könnten. Allein dieser Bereich der Entwicklung und Implementierung stellt uns vor riesige Ressourcenprobleme. Das sehe ich bundesweit auch bei meinen Amtskollegen in deren Zentraldienststellen als große Herausforderung.
Wenn wir also von der Polizeiarbeit der Zukunft sprechen, dann würde ich es so formulieren: Wir versuchen gerade einen festen Stand im Hier und Jetzt zu erlangen. Nur wer eine solche solide Ausgangsposition besitzt, der hat perspektivisch einen „freien“ Kopf für wirklich Neues.
Gerade deswegen haben wir in Sachsen das InnoLab als eine Denkfabrik konzipiert und ausdrücklich von den laufenden Betriebs- und Entwicklungsaufgaben entlastet. Für diese Freiheit im Denken – unabhängig von gegenwärtigen (und außerordentlich wichtigen) Tagesproblem – stehe ich von Anfang an ein und halte dies auch weiterhin für unabdingbar. Selbst dann, wenn wir sicherlich nicht alles sofort umsetzen können, müssen wir uns dennoch einen freien Blick in die Zukunft bewahren.
Frage: Wo geht die Entwicklung bei der Polizei hin und welche Rolle werden dabei die Innovationslabore sowie diese Form des kreativen Austausches haben?
Die Entwicklung der Polizei sehe ich für den Bereich der IT sehr stark in gemeinsamen Entwicklungen zwischen den verschiedenen Ländern und dem Bund, um so Ressourcen einzusparen.
Die Innovationslabore werden hier im Vorfeld für ihre jeweiligen Behörden eine wichtige Funktion als Beratungsinstrument einnehmen. Man könnte vielleicht sagen: ähnlich wie Matrosen im Ausguck eines Segelschiffes richten sie den Blick auf den Horizont, um Kapitän und Besatzung rechtzeitig ins richtige Bild zu setzen.
Erlauben sie mir noch eine Bemerkung: dieser Weg wird auch von vielen Frustrationen und Rückschlägen begleitet sein.
Frage: Welchen Bezug sehen sie zwischen den Innovationen für die Polizei, die auf eine schnelle Umsetzung drängt und dem Blick in eine Zukunft der nächsten 10 bis 15 Jahre von der Cyberagentur im Bereich der Cybersicherheit?
Auf alle Fälle bleibt das ein Spannungsfeld: Polizei muss in erster Linie für den Bürger permanent und sofort ansprechbar sein. Diese Verortung im Hier und Jetzt zieht immer auch eine sehr starke Priorisierung aller Ressourcen in die Gegenwart nach sich. Das wird auch in Zukunft so sein.
Mir ist aber vollkommen klar, dass die wirklich großen Herausforderungen der IT jedoch nicht von jetzt auf gleich gelöst werden können. Denken sie beispielsweise nur an die Folgen des Quantencomputings für unsere bestehenden Verschlüsselungssysteme. Natürlich macht es auch jedem Verantwortungsträger Sorgen, dass man im eigenen Bereich nicht rechtzeitig genug mit einer aktiven Lösungssuche begonnen haben könnte.
Deswegen ist es eine wirklich gute Sache, dass es überhaupt einen Forschungsträger wie die Cyberagentur gibt, der für uns Sicherheitsbehörden solche Themen vorausdenkt. Gerade von unserem InnoLab erwarte ich in der Zusammenarbeit mit der Cyberagentur, dass wir diese Themen in den Blick nehmen. Erst in einem zweiten Schritt werden sich die Sicherheitsbehörden dann zu Umsetzungsstrategien entschließen können. Als technologischer Mittler zwischen Forschungsergebnissen und prototypischen Entwicklungen sehe ich beispielsweise die ZITiS oder P20.
Für die Cyberagentur bestimmt sich der Mehrwert einer solchen Kooperation darin, dass sie einerseits praxisrelevante use cases direkt von Ihrem Bedarfsträger erhalten und anderseits, dass wir ein realitätsnahes Test- und Evaluierungsumfeld bieten können, damit Ihre Forschungsergebnisse möglichst zeitig in einem realistischen Kontext validiert werden.
Das InnoLab des Polizeiverwaltungsamtes der Polizei Sachsen wird sie zukünftig auf diesem Weg sicherlich begleiten.
Weitere Informationen:
https://www.polizei.sachsen.de/de/49463.htm
https://www.polizei.sachsen.de/de/76821.htm
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